Freitag, 1. August 2014

31. Damit ihr nicht denkt, ich sei völlig bescheuert

Wie gesagt, damit ihr nach dem letzten Eintrag nicht denkt, ich sei mittlerweile komplett durch den Wind, schicke ich einen Erguss an wortgewandter Ausdruckskraft hinterher. Nun gut, es ist im Grunde genommen nur der dritte Bericht, aber lest einfach:

Mir gefiel schon immer die Metapher des weißen, unbeschriebenen Blattes, als welches wir vor gut einem Jahr bezüglich der kommenden Erfahrungen in das ferne Lateinamerika aufbrachen. Voller Ungewissheit, Neugier, Freude und Abenteuerlust bestiegen wir damals das Flugzeug, hatten also kaum eine Vorstellung dessen, was uns bevorstünde und ließen uns damit auf ein Abenteuer ein, das ein Jahr später deutliche Spuren an uns hinterlassen würde: Das Blatt, das hinsichtlich des Jahres noch unbeschrieben war, ist nun nicht mehr weiß, es ist beschrieben mit ganz persönlichen Geschichten, es ist bemalt mit einer Vielzahl an verschiedensten Eindrücken, es ist bezeichnet mit Erkenntnissen über das Leben hier, über uns selbst, über das Leben in Deutschland, definitiv ist es aber nicht mehr leer. Es ist voll von einem Jahr Leben in Lateinamerika, voll von Gefühlen, Bildern, Momenten, Einsichten. Kurz vor dem Rückflug heißt es nun also, Worte für alle diese Veränderungen zu finden und sie mit Ihnen, lieber Unterstützerkreis, zu teilen.

PERSÖNLICHE ENTWICKLUNG
Mir fällt es ehrlich gesagt etwas schwer, meine persönlichen Veränderungen aufzufinden. Mir fehlt dazu ganz einfach die Außensicht, die am besten mit einem gewissen zeitlichen Abstand die Julia vom Anfang des Jahres mit derjenigen vergleichen kann, die ich heute bin. Ich bin mir sicher, dass ich gewachsen bin an dem Jahr und an seinen Aufgaben, dass ich reifer und offener geworden bin, doch kann ich diese Veränderungen nur schwer identifizieren, da dies einem kontinuierlichen Prozess unterlag. Im Gegensatz dazu konnte ich aber beispielsweise eindeutige Veränderungen an Mitfreiwilligen erkennen, da genau bei ihnen der zeitliche Abstand gegeben war. Was ich beobachten konnte ist, dass die Umgebung einen unglaublichen Einfluss auf die Entwicklung des Freiwilligen ausmacht. So sind Freiwillige aus dem Innenland, stupide gesagt, zu ruhigen Ökos geworden, die sich perfekt an ihre Situation im Campo angepasst haben. Freiwillige aus der Megametropole Buenos Aires hingegen genießen die Freiheiten und Möglichkeiten, die eine Großstadt bietet und sind zu lebenshungrigen, jungen Menschen herangereift. Wie sich Montevideo, als gemütliche Großstadt, auf mich ausgewirkt hat, muss wohl bei meiner Rückkehr beurteilt werden. Was ich jedoch mit ziemlicher Gewissheit sagen kann ist, dass ich viele Sichtweisen und Gewohnheiten verändert habe. So kommen mir beispielsweise viele Dinge, über die ich mich in Deutschland vielleicht noch beschwert habe, mittlerweile als absolute Nichtigkeiten und Luxusprobleme vor, räumliche Distanzen habe ich für mich komplett neu definiert, da nun eine Wegstrecke von einer Stunde Busfahrt als normal und nicht zu lange angesehen wird, Zeit spielt hier für mich nun eine ganz andere Rolle, die Prioritätenverteilung bezüglich Arbeit und Leben hat sich umgelagert, das Verständnis von Offenheit und Gastfreundschaft ist dank des Hier-erlebten ein neues geworden, es sind also solche Dinge, an denen ich merke, dass ich mich verändert habe.

VERÄNDERUNGEN IM PROJEKT
Wenn ich nun auf Veränderungen Bezug nehmen möchte, die durch meinen Dienst im Projekt stattfanden, habe ich nun eine recht klare Meinung: Ich habe weder einen riesen Beitrag geleistet, der die Arbeit im Projekt auf eine neue Ebene gehoben hätte, noch habe ich die „Welt verbessert und Armut bekämpft“, was sich ja viele Freiwillige leider anmaßen zu behaupten. In meinen Augen ist es aber auch völlig unnötig, zu erwarten, man würde so wahnsinnig viel verändern in seinem Projekt. Es ist doch viel wichtiger, sich einzugliedern in das Getriebe, das bereits läuft und das im Falle meines Projektes noch dazu sehr gut und reibungslos läuft. Womöglich ist es auch speziell in meinem Projekt so, dass ich in der Rolle als deutsche Freiwillige nicht die weitreichenden Veränderungen bringen konnte, schließlich schaut die Obra Ecuménica bereits auf Generationen von Freiwilligen zurück und hat mehrfach erlebt, was Deutsche zu gewissen Arbeitsmethoden oder Gewohnheiten sagen. Ich konnte in diesem Bereich also nur wenig „Neues“ bringen. Worin ich mir aber sicher bin, sind die kleinen, privaten Veränderungen, die ich nicht in der Rolle der deutschen Freiwilligen brachte, sondern in der Rolle der Privatperson Julia. Jeder in der Obra trägt durch seinen persönlichen Charakter auf seine spezielle Art und Weise bei, gibt den Gesprächen, dem Team, der Arbeit seine persönliche Note. So konnte ich sicherlich dem ein oder anderen Kind ganz einfach nur durch einen schönen Moment, ein nettes Gespräch, ein offenes Ohr, ein neues Spiel, das Mitteilen meines Wissens, sei es schulischer, privater, tänzerischer oder sonst noch welcher Art für einen Augenblick seinen Alltag verändern. Vielleicht sogar die Probleme vergessen machen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Ich glaube auch, dass ich mehr Gewinn aus dem Jahr ziehen konnte, als das Projekt aus mir, das ist in gewisser Hinsicht aber auch verständlich: Für mich war das Jahr eine komplett neue Situation, in der nichts das Gleiche war, wie es in Deutschland ist. Für das Projekt war ich ein Baustein, der in einem sonst altbewährten Gerüst neu war. Ich hoffe sehr, dass ich mich klar ausdrücken konnte und dass nichts falsch aufgefasst wird, aber ich sehe die durch mich bewirkten Veränderungen nicht auf großer, institutioneller Ebene, vielmehr sehe ich sie im Kleinen, Privaten, womit ich aber auch zufrieden bin, da man sich als Freiwilliger meiner Meinung nach davon verabschieden sollte, einem utopischen Bild des Weltverbesserers nachzueifern.

RÜCKKEHRGEDANKEN
Nach elf Monaten kann ich sagen, dass ich enorm Glück hatte mit allem, was mir widerfahren ist. Ich hatte ein Riesenglück mit meinem Projekt, mit den Menschen, die ich kennenlernen durfte, mit meiner Wohngemeinschaft, mit meiner Stadt, mit allem. Womöglich liegt es auch daran, dass mich während des gesamten Jahres eigentlich auch nie eine wirkliche Krise heimgesucht hatte. Klar hätte ich mir in einigen Momenten meine Familie und Freunde oder auch einfach nur das Deutsche herbeigesehnt, es nahm aber nie die Ausmaße eines großen persönlichen Tiefs an. Auch nun, im letzten Monat meines Aufenthaltes kann ich von Glück sprechen, da mir der Gedanke an die Rückkehr ehrlich gesagt nicht besonders schwer fällt. Natürlich werde ich Montevideo und die Menschen vermissen und in einigen Momenten mit einer großen Sehnsucht auf das Erlebte zurückblicken, im Augenblick bin ich der Rückkehr aber sehr positiv eingestimmt. Einerseits, da ich mich schon sehr auf Freunde und Familie freue und mir sehr wünsche, meine ganzen Erfahrungen endlich teilen zu können, andererseits aber auch, da es nun an der Zeit ist, zurückzukehren. Es ist für mich ok, dass das Jahr zu Ende geht und ich kann mit einem guten Gefühl auf das Erlebte und Erreichte zurückschauen: Ich habe alles das, was mir zu Beginn des Jahres wichtig war, erreicht, weshalb ich jetzt nicht das Gefühl habe, als hätte ich etwas verpasst: Ich habe eigene Ideen in der Arbeit umgesetzt, habe meinen Platz in der Arbeit gefunden, habe mir die spanische Sprache weitestgehend zu Eigen gemacht, habe viele Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen, habe alles Mögliche an Tanz ausprobiert, über Candombe bis hin zu Tango, habe Dinge ausprobiert, die ich in Deutschland wahrscheinlich nicht ausprobiert hätte, bin gereist, einmal zusammen mit Uruguayern, einmal nur mit dem Rucksack auf gut Glück und habe viele persönliche Prozesse durchgemacht. Ich bin also zufrieden mit dem gesamten Jahr und mit mir und kann mich daher mit Ruhe auf meine Rückkehr einstellen.

Am Schluss angelangt bleibt mir nur noch eines: Ein herzliches Dankeschön auszudrücken! Für all‘ die Unterstützung, egal welcher Form sie auch war! DANKE!


 

Freitag, 25. Juli 2014

29. Weil Reisen schön ist...

Die Zeit zwischen dem 27. Juni und dem 9. Juli war mit eines der schönsten Erlebnisse, das ich während des Jahres hatte. Weshalb? Ganz einfach: Ich war reisen: Zuerst Buenos Aires: Großstadtflair, Megametropole, Feiern, Sightseeing, Menschenmassen, Verkehrsgewusel, beeindruckend und schön. Danach ging es nach ElDorado in Misiones, der Provinz Argentiniens, die am Dreiländereck mit Brasilien und Paraguay liegt, um zusammen mit den anderen Freiwilligen das Endseminar zu verbringen: subtropischer Regenwald, tolle Gespräche, schöne Einheiten, Spaß, Freundschaften, die Iguazu-wasserfälle mit den gigantischen Wassermassen, die sich atemberaubend in die Tiefe stürzen, faszinierende Tiere, die ich sonst allerhöchstens aus dem Zoo kenne und noch mehr subtropischer Regenwald. Das letzte Ziel hieß Salta und Jujuy, die nördlichsten Provinzen Argentiniens, die an Chile und Bolivien grenzen. Insbesondere dieser Abschnitt meiner Reise hinterlässt noch heute eine Sprachlosigkeit und Gänsehaut bei mir: Alleine bin ich hin, mit vielen tollen Bekanntschaften bin ich durchgereist, vollbepackt mit wahnsinnigen Eindrücken bin ich zurückgekommen. Deswegen ist es besser, ich lasse Bilder und keine Worte sprechen:

Der Parque Palermo in Buenos Aires

Über den Dächern von Buenos Aires


Die Iguazuwasserfälle

Naaasenbären, immer dort zu finden, wo es Essen gibt!


Mehr Glück kann man wirklich nicht haben: Ich wurde spontan auf eine Privatfeier mit waschechten Gauchos eingeladen; mitten in der freien Natur, mit der typischen Speise Locro und mit Ausritt durch die Wildnis...


Der Tren de las Nubes in Salta





Die Salzwüste in Jujuy - lädt zum Spielen ein



Auf knapp 4200 Höhenmetern

... und die Serpentine, die von dieser Höhe runterführt.





Den Farbton verdankt die Erde Eisenoxidationen in den Gesteinsschichten und ist das Wahrzeichen der Region.




Hab mich so in dieses Lama verliebt; stand total cool da, hat lässig in die Runde geschaut und dabei stundenlang auf ein und dem selben Grashalm rumgekaut...

fantastische Farbenspiele: rote Erde, grüner Strauch, blauer Himmel



Montag, 14. Juli 2014

28. Ein Lebenszeichen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen, liebe Leser, liebe Freunde und Familie und alle anderen, die sich diesen Eintrag zu Gemüte führen,

es ist mir ein herzliches Anliegen, mich für die lange Abwesenheit zu entschuldigen! In aller Form und mit der größten Ernsthaftigkeit möchte ich diesem Missstand entgegen wirken und mich ein 28. Mal zu Wort melden und besorgten Mitmenschen vermitteln, dass die lange Stille nicht Ausdruck eines Ignorierens der Welt östlich des Pazifiks noch einer den Fingern zugrunde liegenden Steifheit sein soll.

Was macht eine Julia also in Uruguay, wenn sie nicht von sich hören lässt?

Hahaha, eine guuuute Frage. Ich gebe euch Antwortmöglichkeiten:

1. Sie schließt sich in ihrem Zimmer ein, trotzt der Eiseskälte und lernt fleißig voraus für ihr Studium.

2. Sie wird von bösen Mitbewohnern eingeschlossen und dazu verdammt, gute von schlechten Erbsen zu trennen.

3. Sie schöpft ihr kreatives Potenzial aus und dekoriert ihr Zuhause mit allem, was ihr in die Finger kommt.

4. Sie lernt die wichtigsten Köpfe Uruguays kennen, knüpft wichtige Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Uruguay und arbeitet somit als rechte Hand des deutschen Staates.

5. Sie genießt ihr Leben, geht nur dann zur Arbeit, wenn keine Arbeit ansteht und freut sich ob der lateinamerikanischen Wärme mit allen ihren Vorzügen.

6. Sie opfert sich für ihre Arbeit auf und bekommt nichts mit außer das Leben in der Obra.

7. Sie verfolgt mit größtem Ehrgeiz ihre Karriere als professionelle Tänzerin, geht zu sämtlichen Tanzevents, trainiert 5 Stunden täglich und nimmt an Wettbewerben teil.

Auch wenn einige der Möglichkeiten enorm verlockend klingen, es trifft nichts davon zu. Ich gebe euch nun also den eigentlichen Grund, weshalb ich mich die letzten Wochen in absoluter Stille befunden habe.

Mittlerweile lebe ich von einem großen Ereignis zum anderen: Ich war in Mercedes, eine Freundin besuchen und dabei weitere Fleckchen Uruguays kennenlernen - ein hübsches kleines Städtchen, dessen Rambla den ganzen Flair der Stadt ausmacht. Lohnenswert war der Trip, da ich mal wieder schöne Gespräche hatte und ein wenig aus dem montevideanischen Alltagstrott heraus bin. 




Das Wochenende drauf durfte ich mir in einer Fortbildung anhören, wie man "Demotivierte wieder motiviert" und den Sinn des Lebens wiederfindet oder so ein Quatsch. Ich muss gestehen, dass ich diese Einheit wenig hilfreich fand, schließlich wurde uns einfach nur erzählt, man müsse auf sich achten, genügend Sport treiben, sich gut ernähren und seinen Passionen nachgehen, um den Spaß an der Arbeit nicht zu verlieren. Begleitet wurde dies von imposanten Videos, die die Weltzerstörung durch die Hand des Menschen repräsentierten - zwar wirklich gute Videos, aber ohne Zusammenhang zu den restlichen Themen und ohne folgende Diskussion wenig nützlich. Alles in allem sprang der Leiter von einem Thema zum anderen und erzählte uns dabei auch nur das, was man sowieso schon wissen sollte... 
Am selben Wochenende ging es für meinen Besuch Hannah und mich ins Theater und in diverse Örtlichkeiten des nächtlichen Tanzvergnügens. Zwischendurch probte ich zudem mit einer Arbeitskollegin und Freundin für ein Tanzprojekt, das wir als Abschiedsgeschenk für die Kinder der Obra erarbeiten. Apropos Tanzen: Ich war das erste Mal auf einer Milonga, im Prinzip eine Tango-party, die in einem unscheinbaren Hinterhof Jung und Alt zum Tangotanzen aufforderte.
Ein weiteres großes Ereignis war selbstverständlich die Weltmeisterschaft! Die Spiele mussten verfolgt werden, soweit es denn überhaupt möglich war (ich erinnere mich an defekte Fernseher, Kollisionen zwischen Arbeits- und Spielzeiten, gesperrten Live-übertragungen im Internet und ganz einfach an das Fehlen von schauwütigen Deutschen). Jetzt ist Deutschland endlich Weltmeister und der ganze Wahnsinn hat ein Ende. Eigentlich schade… Dafür wird hier demnächst ein anderer Wahnsinn anstehen: die Präsidentschaftswahlen! Mit wurde bereits angekündigt, dass ein Passieren der Straßen nahezu unmöglich sei, da sie entweder durch Plakate oder werbende Plakatmenschen versperrt sein werden. Ich bin also gespannt.

Ich war auch noch zwei Wochen auf Reise durch Argentinien, das war aber sooo fantastisch toll, dass der Reisebericht einen eigenen Beitrag verdient, der wohldurchdacht sein soll. Also gibt’s jetzt noch nix drüba zu lese :-P So, jetzt wisst ihr wieder ein wenig Bescheid über mein hiesiges Leben. Feiert den Sieg Deutschlands nicht zu heftig, das macht mich nämlich nur neidisch! Bis denne ihr Lieben,
eure Uruguay-Julia



Sonntag, 22. Juni 2014

27. Uruguay-Julia schreibt....


Ich will nach Hause, weil...

... es so arschkalt ist!!! Wer hat nochmal behauptet, Lateinamerika sei ein warmer Kontinent? Egal, wer es war, er hat eindeutig gelogen! Und warum ist sowas wie Heizung und Isolation noch nicht in Uruguay angekommen??? Und warum werden hier keine kleinen Gänse gezüchtet, die meine Bettdecken mit flauschigen Daunen füllen könnten??? Ahhh ich freue mich auf die deutsche Wärme!

... ich mal wieder Schwarzbrot, Joghurt und Döner essen will.

... klar, ich will meine Familie wieder sehen!

... ich meine Freunde mittlerweile echt vermisse!

... ich mich schon sehr auf Abschied eingestellt habe und das den Endspurt bestärkt.

... ich Angst habe, dass ich mit einer noch längeren Pause vom Studium nie wieder ins Lernen reinfinden werde.

... ich schon viele, tolle Ideen habe für Deutschland.

... ich mal wieder etwas lernen möchte, so wie in der Schule...

Ich will hier bleiben, weil...

... das mein bestes Jahr war!

... ich hier so unglaublich tolle, wertvolle und einzigartige Erfahrungen machen durfte!

... ich hier keine Prüfungen schreiben muss.

... ich jetzt eigentlich schon keine Lust auf Uni-stress habe.

... ich hier Freundschaften geschlossen habe, die ich nicht verlieren möchte.

... ich immer mehr ins Projekt hineinwachse und erst seit einigen Monaten das Gefühl habe, wirklich von Wert zu sein in der Arbeit!

... ich immer noch mehr lernen möchte: Sprache, Umgang mit den Jugendlichen und Kindern, Kultur,...

... ich noch so wenig gesehen habe von Lateinamerika! Ach, die Welt ist doch einfach viel zu schön, als dass sie ungesehen bleiben könnte...

... hier nach meiner Abreise wieder einmal der Sommer beginnt - und der war so toll!

... ich wohl auch nicht so schnell zurückkommen kann, wenn ich denn erst einmal zurückgekehrt bin.

... ich Langzeitentwicklungen mitbekommen möchte! Es ist alles in einem Prozess, dessen Werdegang ich nur ein Jahr lang mitbekommen durfte!

... hier die besseren Tänzer sind! Egal wer, jeder kann tanzen - ein Paradies.

... ich mich hier mit Umständen konfrontiert sah, die ich in Deutschland nicht haben werde: meine Umwelt, ich selbst, Zeit - all dies sind Dinge, die ich hier anders erleben darf.


Nun ja, noch habe ich zwei Monate, die ich genießen will. Vielleicht ist es auch noch viel zu früh für alle diese Gedanken, aber so sind sie schon mal gedacht und niedergeschrieben und können daher anderen Gedanken Platz machen:-)
Ich verspreche, mich möglichst zeitnah wieder zu melden und darüber zu plaudern, was alles passiert ist in den letzten Wochen, es ist nämlich eine Menge!
In diesem Sinne, herzliche, liebe Grüße von eurer Uruguay-Julia

Samstag, 17. Mai 2014

26. Der sechsundzwanzigste Eintrag


Hallo meine lieben Leser,
ich habe mal wieder was geschrieben, nicht nur, weil ich das Gefühl hatte, der Blog bedürfe dringend eines neuen Inhaltes, sondern auch, weil ich Lust hatte, zu äußern, was ich denke und weil ich aufgrund des Blutdrucks einer 90-jährigen nichts unternehmen kann, außer zuhause zu bleiben und deswegen ausnahmsweise Zeit habe.

Ich war im Theater! Das Theater heißt Teatro Solis, ist das zweitgrößte Theater Lateinamerikas, präsentierte an einem regnerischen Dienstag das moderne Tanzprojekt „El Mutualista“, in dem auch eine Arbeitskollegin und Freundin mittanzte, ermöglichte mir durch Zufall den kostenlosen Eintritt, obwohl Karten erst ab 200 Peso erhältlich waren und verhalf mir zu netten Kontakten zu Mexikanern, die direkt neben mir saßen, blablabla, alles nur Hintergrundinformation und unwichtig. Ich schwenke daher eiskalt auf meinen Eindruck:
Nun gut, was soll ich als klassisches Ballettmädchen zu springenden, wild um sich schlagenden, rennenden, schreienden, lachenden, gewalttätigen Menschen sagen? Ich weiß es absolut nicht! Ich kann nur sagen, dass ich keinerlei Tanz oder Technik gesehen habe, dafür aber mit Bildern konfrontiert wurde, die in mir eine wahre Gefühlsachterbahn ausgelöst haben. Belustigung, da 80 Menschen im gleichen Moment aus tiefstem Herzen lachten, Angst, da die gleichen 80 Menschen schon im darauffolgenden Moment aus dunkelster Seele schrien, Unverständnis, da 80 Menschen eine Ewigkeit lang nur umherliefen und hinfielen, Bedrohung, da 79 Menschen einen Menschen auf die brutalste Art und Weise wegstießen, umherwirbelten und wegzerrten, Entsetzen, da sich 80 Menschen zum Schluss entkleideten, einige sogar bis hin zum Neugeborenenkleid, Ekel, als sich die 80 nackten, beziehungsweise halbnackten Menschen als großer Menschenknäuel formierten und über die Bühne rollten, noch mehr Entsetzen, als die wenigen komplett Entblößten sich nicht einmal anschickten, sich zum Abschlussapplaus ein Stück Stoff anzulegen. Nein im Ernst, ich weiß wirklich nicht, was ich darin sehen oder interpretieren soll.



An dieser Stelle merke ich auch, dass ich das, was ich ursprünglich schreiben wollte, nicht schreiben kann, da sich meine Meinung in den vergangenen Monaten beträchtlich geändert hat. In den ersten Monaten meines Aufenthaltes hatte ich das Gefühl, dass das Bildungsniveau deutlich niedriger sei als das in Deutschland. Genährt wurde der Eindruck durch die Tänzer, die eine Tanzausbildung haben aber dennoch keine Technik, durch das, was ich im Projekt an Bildung mitbekam und durch „Studien“-inhalte meiner Mitbewohner. Es verwunderte mich immer, dass beispielweise ein Student meinte, er müsse so unglaublich viel Schweres für sein Studium lernen, als ich mir seine Materialien allerdings durchsah, erinnerte mich das an die 11. Klasse eines Gymnasiums. 

Mittlerweile ist mir allerdings bewusst, dass ich mich sehr einseitig habe leiten lassen in meinen Eindrücken. Dass das Bildungsbild im Projekt nicht als uruguayischer Durchschnitt zu werten ist, dürfte klar sein. Schließlich arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen in einem Armenviertel Montevideos.
Das, was der Student zum Schwierigkeitsgrad seines Studiums meinte, ist als subjektive Meinung zu werten. Zudem umfasst der Begriff „Studium“ hier einen größeren Bereich an Bildungswegen als in Deutschland, es ist also auch einfach nur ein definitionsbedingtes Problem.
Zwischenzeitlich konnte ich einen Einblick in andere Studiengänge gewinnen und soweit ich das beurteilen kann, sind  diese unseren deutschen Studiengängen sehr ähnlich. Die Technikstudenten quälen sich mit hässlichen Matherechnungen und die Tiermediziner dürfen sich jeden einzelnen chemischen Prozess im tierischen Körper einprägen.

Wahrscheinlich fehlt mir aber sowieso der Einblick in das Gesamtsystem, um das Alles beurteilen zu können und die Zeit, die ihr damit verwendet habt, den Eintrag zu lesen, ist absolut verschwendete Zeit. Damit die Lektüre doch nicht ganz umsonst war, schlage ich vor, ihr sucht alle Wörter, die mindestens drei Vokale enthalten heraus und behaltet diese Wörter als Geschenk in einer kleinen Kiste. Punkt, aus, fertig, ich bin müde und geh jetzt essen!



Dienstag, 6. Mai 2014

25. Einfach nur so, Teil 3

Der Grund für tiefblaue Knie
… liegt in der Teilnahme an einem „Taller de entrenamiento, contemporáneo e improvisación“. Wir haben zwei Stunden lang getanzt, hauptsächlich auf dem Boden. Leider habe ich nie gelernt, mich so geschickt auf den Boden fallen zu lassen, wie es die richtigen Moderntänzer machen, Spaß hat es trotz blauer Flecken am ganzen Körper trotzdem gemacht.



Der letzte Ohrwurm
… heißt Tengo ganas von Victor Emanuelle und ist ein wunderschönes Salsalied.

Eine wichtige Entscheidung
… muss ich demnächst treffen. Der Termin für den großen Tanzabend wurde nämlich vom 18. Juli auf den 9. August verlegt. Ich fliege aber am 11. August nach Deutschland. Wenn mir also jemand die Entscheidung abnehmen möchte, würde ich das sehr begrüßen.

Sehr hilfreich und angenehm
… war mal wieder der Besuch meines Koordinatoren der IERP aus Buenos Aires. Erneut wurde ich mit vielen Gedanken und Anregungen zurückgelassen und wurde angeregt zu hinterfragen, zu überlegen, zu ändern, zu vermehren, anzusprechen,…

Nichts, aber auch gar nichts
… kommt an das fantastische Essen heran, das ich beim gemeinsamen Abendessen mit den Freiwilligen und dem Koordinatoren verspeist habe: Baby Beef an Grillgemüse. Eigentlich tut es mir ja Leid um das arme Babyvieh, aber es war einfach nur göttlich! Zart zerging es auf der Zunge, umschmeichelte jeden einzelnen Geschmacksnerven, liebkoste den Mundraum beim Zerkauen. Das saftige, nach Grillaroma schmeckende Gemüse bot diesem Geschmackserlebnis ein ebenbürtiges Pendant, lieferte dem Baby sein nötiges Bett und begleitete es in taktvollem Rhythmus in den Schlaf. Allein der Gedanke an die Explosion an Geschmackseindrücken lässt mich in überirdische Sphären abheben. Arrgh ich schweife mal wieder zu sehr ab…

Die Wohnung
…sieht nach einem Tag Generalputz und etlichen Stunden Umgestaltung nun tatsächlich gemütlich und wohnlich aus.

Danke
… an Lio, Julian, Christoph, Freyja, Lena, Nicki und Edona für euren Besuch. Ich hatte wirklich Spaß bei den Gesprächen, den Kochsessions, dem Leuchtturmbesuch, dem Feiern, dem Spazieren, dem Karussellfahren, etc und habe mal wieder schöne, neue Flecken Montevideos kennengelernt.









Mein Mitleid
…gilt meinen Freunden daheim, die nach dem Praxissemester wieder in den normalen Unialltag einsteigen müssen. :-P

Eine tolle Zeit
... hatte ich in Mar del Plata. Ich habe dort Freiwillige besucht und die Stadt kennengelernt. Es war ein tolles Wochenende!

Mein ganz besonderer Glückwunsch
… gilt dir Mama. Nochmals alles herzlich Liebe zu deinem Geburtstag!


Montag, 14. April 2014

24 Milongón

Ein wirklich schöner Zufall: Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich in der ersten Woche nach meiner Ankunft in Montevideo einen Flyer in den Händen hielt, der diverse Ausflüge und Events speziell für Touristen anpreiste. Mich sprach damals das Event "Dinnershow: Folklore, Tango und Candombe" sehr an, doch der Preis von 1400 Peso ließ mich schnell erkennen, dass ich wohl nie zu diesem Event werde gehen können.

7 Monate später werde ich nun von einer Arbeitskollegin, deren Freund Trommel in einem sogenannten Milongón spielt, gefragt, ob ich nicht mal Lust hätte, zu eben diesem Milongón zu gehen. Mit Vitamin B müsste ich nicht einmal Eintritt zahlen, nur müsste ich auf das Dinner verzichten.
So kam es, dass wir zusammen  hin gingen und siehe da, im Eingangsbereich hatte ich ein nettes Wiedersehen mit dem bekannten Flyer. Uns wurden sogar mit die besten Plätze angeboten, wir wurden auf eine Cola eingeladen und konnten das Spektakel genießen. Da wahrscheinlich jedem klar sein dürfte, was eine Dinnershow ist, will ich auch gar nicht weiter darauf eingehen und nur zwei kleine Videos präsentieren, einmal vom Tango und einmal vom Candombe.




Samstag, 5. April 2014

23. Einfach nur so, Teil 2

Top der Woche
Wir haben mit den Choreos für die Tanzaufführung im Juli angefangen.

Flop der Woche
Einem Jugendlichen aus meinem Projekt wurde beim Warten auf den Bus vor den Türen der Obra die Nase mit einem gezielten Faustschlag gebrochen. Das Bild von der schief hängenden Nase wird mir wohl ewig in Erinnerung bleiben.

Erinnerungen
  • ·         Das Wochenende mit meinen beiden zwei besten Freundinnen aus Deutschland! So schöne Gespräche hatte ich lange nicht mehr.
  • ·         Das lange Wochenende mit vier Freiwilligen in Montevideo und Punta del Este -  es war so unglaublich lustig!

Neueste Neuigkeit
Ich tanze nun auch TangoJ

Mein letzter Albtraum
Es ist bereits August und ich habe meinen Flug verpasst…

Meine letzte Sünde
Das Essen gestern beim Begrüßungsfest: Pizza und Calzone vom Grill. Bin immer noch voll davon…

Weshalb ich gerade total stolz bin
War heute fleißig und habe geputzt wie blöd. Das Zimmer ist nun sauber, die Wäsche gewaschen, sämtliche Flure und Treppen lupenrein.

Derzeitiger Ohrwurm
Keine Ahnung, wie das Original heißt. Allerdings wurde der Text umgeschrieben, während ich in der Küche am Zwiebeln-schneiden war. Dieser lautet nun: „Es kommt Julia, die die Zwiebel immer sehr fein schneidet“… Nunja:D

Was mich jetzt während des Schreibens noch stolzer macht
Musste gerade an meine Schwester denken. Gestern ist sie umgezogen, am Montag beginnt sie zu studieren. Hau rein Natalie!

Triumph der letzten Woche
Ich habe meinen eigenen Joghurt hergestellt! Das, was man hier nämlich als Joghurt kauft, ist einfach nur verdickte Milch mit Zucker, künstlichen Geschmäcken und Farbe.

Was mich richtig nervt
Mücken!!! Blutrünstig sind die Viecher und verfolgen einen zudem noch. Wenn ich nicht am Totschlagen bin, bin ich am Kratzen.

Freitag, 28. März 2014

22. Zwar formal, aber was solls...

Ich dachte, ich könnte ja auch mal meinen Bericht, der für den Spenderkreis gedacht ist, veröffentlichen... Et voilá, da wäre er.


Höchstwahrscheinlich beginnen alle Berichte mit den
gleichen Worten: „Es sind nun schon 6 Monate vergangen, ich bin an der Hälfte meines Auslandsaufenthaltes angelangt. Unglaublich, wie schnell die Zeit verflogen ist, schließlich kommt es mir vor, als wäre ich erst vor Kurzem aus dem Flugzeug gestiegen.“ Die Information dürfte also altbekannt sein und dennoch will auch ich mich dieser Formulierung anschließen und den Eindruck
des viel zu schnellen Verrinnens der Zeit mit Ihnen,
lieber Spenderkreis, teilen.
Das Schöne ist jedoch, dass trotz dieses Gefühls bei rückblickender Betrachtung des hier Erlebten eine ganze Menge an Eindrücken und Geschehnissen zusammenkommt. Um nur die wichtigsten Ereignisse zu benennen, führe ich den Abschlussausflug mit den Jugendlichen meines Projektes nach Colonia del Sacramento (UNESCO Weltkulturerbe), das Zeltlager mit den Kindern des Club de Niños, das ganz anders erlebte Weihnachten und Silvester, die Jahresabschlussaufführung meiner Tanzschule im Dezember, meinen dreiwöchigen Urlaub in Brasilien, meinen Kurzurlaub in Punta del Diablo (einem wunderschönen Fischerdorf an der Atlantikküste), das Zwischenseminar in Argentinien, den Kurztrip mit 4 weiteren Freiwilligen nach Punta del Este und den Start des neuen Schuljahres im hiesigen Sommer an.

ZELTLAGER
Das Zeltlager verbrachten die rund 55 Kinder und wir Betreuer in Conchillas, einem Badeort im Bezirk Colonia. Wir genossen bei gutem Wetter den Strand, spielten große Gruppenspiele, tanzten verkleidet zu Cumbia, aßen kulinarische Köstlichkeiten, die von einem Team aus freiwilligen Helfern zubereitet wurden, entspannten beim Angeln und entzündeten ein großes Lagerfeuer, das von einer Geschichte begleitet wurde. Alles in Allem war es ein wirklich schönes Zeltlager, da die Kinder die Zeit genossen und viel Spaß bei den gemeinsamen Aktivitäten hatten. Das Schöne für mich ist, dass sich durch die intensive Erfahrung ein besonderes Verhältnis zu den Kindern entwickeln konnte. Einerseits begegnen wir uns mit noch mehr Vertrauen, andererseits nehmen die Kinder aber auch die Autoritätsperson in mir stärker wahr und messen meinem Wort mehr Bedeutung bei, als sie dies noch vor dem Zeltlager getan haben. So ein Ereignis schweißt dann eben doch sehr zusammen, weshalb ich enorm viel aus den drei Tagen mitnehmen konnte.

ZWISCHENSEMINAR IN BARADERO – 27. JANUAR BIS 02. FEBRUAR
Das Zwischenseminar bestritt ich mit weiteren 40 Freiwilligen aus Argentinien, Uruguay und Paraguay Ende Januar in Baradero, einer Kleinstatt unweit von Buenos Aires. Es tat mir in vielerlei Hinsicht sehr gut. Nicht nur, dass ich mich mit anderen Freiwilligen austauschen konnte (und das auf der Muttersprache, wie angenehm!) und die Zeit mit viel Spaß verbrachte, es fand bei mir auch ein Umdenken, beziehungsweise Rückbesinnen auf ursprüngliche Ziele statt, die ich in den vergangenen Monaten außer Augen verloren habe. Veranlasst wurde dies durch die unterschiedlichen Programmpunkte, die zum Nachdenken, Reflektieren und Hinterfragen anregten und somit einerseits ein Resümee über die letzten sechs Monate zogen und andererseits neue Anregungen für die neue Etappe vermittelten. Auch konnte ich viel Energie und neue Motivation für die zweite Hälfte meines Aufenthaltes mitnehmen, weshalb ich das Zwischenseminar als sehr wertvoll für das Jahr ansehe.

UNTERSCHIEDE
Unter diesem Titel könnte man ein ganzes Buch unterbringen, schließlich geben mir 6 Monate Uruguay ausreichend Einblick, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen deutscher und uruguayischer Kultur festzustellen. Es fängt bereits bei Kleinigkeiten an, wie zum Beispiel, dass das Frühstück so gar keine Bedeutung im Alltag eines Uruguayos spielt und dafür das Abendessen zu (sehr) später Stunde umso größer ausfällt. Auf solche Details will ich mich in diesem Abschnitt aber nicht fixieren, sie sollen lieber Stoff für kleine Anekdoten sein, die ich auf deutschem Boden zum Besten geben werde. Vielmehr ermöglichte mir ein Gespräch mit einer uruguayischen Studentin, die in Leipzig ihr Auslandssemester machte, einen neuen Blick auf die uruguayische Kultur, da sie mir ihre Sichtweise über Deutschland mitteilte.
Der größte Unterschied für sie sei gewesen, dass in Deutschland einfach alles laufe. Es sei alles organisiert, es würde nichts schief laufen, was bedeutet, dass ein Nachdenken über Alternativen unnötig sei. Besonders bildhaft sei ihr das in einer Vorlesung aufgefallen, in welcher der Professor auf einen Alternativvorschlag eines argentinischen Studenten völlig perplex reagiert habe und erwiderte, dass er noch nie über eine Alternative nachgedacht habe. Diese Beobachtung der Studentin gliedert sich recht gut in all das ein, was ich hier erlebe: Mein Bild über Lateinamerika, das ich hier bestätigt sehe, ist dasjenige der Menschen, die sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen und in keine Panik verfallen, wenn denn etwas nicht so laufen sollte. Sie sind es eher gewohnt, ständig mit Planänderungen und Alternativen konfrontiert zu sein, weshalb sie sich weniger schnell stressen lassen und die Sachen so annehmen, wie sie ihnen zufallen.
Ein Beispiel, um das Gesagte zu verdeutlichen: Kommt in Deutschland der Bus nicht nach Plan, werden bereits an der Haltestelle erste Beschwerden laut und eine gewisse Unruhe macht sich breit, da auf einmal das pünktliche Ankommen am Zielort gefährdet ist. Hier in Uruguay existieren zwar Fahrpläne, werden aber nie zu Rate gezogen, da sie sowieso nicht eingehalten werden. Es wundert sich auch niemand, wenn der Bus überhaupt nicht kommt und im nächsten Moment drei Busse der gleichen Linie hintereinander stehen. Es läuft eben nicht nach Plan.
Es lassen sich an dieser Stelle auch so viele Verbindungen zu anderen Phänomenen ziehen, schließlich bedingt das Alternativdenken in gewissem Grade die ganze Lebenseinstellung. Zuspätkommen gehört schon beinahe zum guten Ton und wird auch bei der Arbeit nicht bemängelt. Lange Warteschlangen an der Kasse, an der Bushaltestelle und an jeglichem Schalter prägen das Stadtbild, was bewirkt, dass die Leute geduldiger sind. Daraus resultiert das Bild des Lateinamerikaners, der das Leben genießt, der sich Zeit nimmt für die kleinen Dinge und seine Prioritäten nicht auf die Arbeit sondern auf Familie und Leben verlegt.
Auf der einen Seite sind das schöne, erstrebenswerte Eigenschaften, andererseits vermisse ich hier so häufig die deutsche Planung. Ein weiteres Beispiel: Über Karneval hatten sowohl Argentinien als auch Uruguay ein verlängertes Wochenende, was beide Länder nutzten, um zu reisen und Besuche abzustatten. Mich haben ebenfalls Freiwillige aus Buenos Aires besucht, als sie dann jedoch zurückfahren wollten, stießen wir erst einmal auf eine immens lange Warteschlange. Nach drei Stunden Anstehen (an dieser Stelle sei angemerkt, dass von drei Schaltern gerade einmal einer besetzt war; in Anbetracht der Menge an reisefreudiger Menschen für mich eine nicht nachvollziehbare Tatsache) wurde uns dann nur mitgeteilt, dass sämtliche Fahrten sowohl mit Bus als auch mit Fähre bis zum Abend des nächsten Tages komplett ausgebucht seien. Verwunderlich ist, dass trotz des Wissens um das große Reisebedürfnis der Argentinier und Uruguayos die Kapazitäten kein bisschen aufgestockt wurden und es scheint, dass überhaupt keine Vorausplanung stattgefunden habe.
Die beschriebenen Beobachtungen beruhen auf subjektiver Erfahrung und sollen keinesfalls „das“ Bild über Uruguay liefern. Ich fand jedoch sehr interessant, wie die uruguayische Studentin Deutschland wahrnahm, weshalb ich mich im vorhergehenden Kapitel der Thematik gewidmet habe. Möglicherweise liege ich mit meinen Vermutungen auch völlig falsch und Schlüsse, die gezogen wurden, gehören der Kategorie der „unziehbaren“ Schlüsse an. Darüber darf sich aber jeder Leser seine eigenen Gedanken machen.

ARBEITSALLTAG
Um den Bereich des Womöglichen zu verlassen, hier einige Informationen, derer ich mir zu hundert Prozent sicher bin:
Im März öffnete die Obra ihre Türen für das neue Schuljahr. In Casa Joven formierte sich eine komplett neue Gruppe von Jugendlichen, zum Club de Niños gesellten sich fünf neue Kinder hinzu und ein neuer Stundenplan mit neuen Werkstätten wurde erarbeitet. Das Semester hält somit Herausforderungen für mich bereit: Viele neue Gesichter, eine ganz andere Gruppendynamik in Casa Joven (während die Hauptaufgabe bei der Gruppe der ersten Jugendlichen darin bestand, sie zu motivieren und das Konfliktpotenzial gering zu halten, liegt die Hauptaufgabe mit den neuen Jugendlichen darin, ihre Energie zu leiten und sie dazu zu bringen, sich mehr zu konzentrieren) und neue Aufgaben wie zum Beispiel das Leiten eines Englisch- und eines Tanzkurses.
Trotz der vorangeschrittenen Zeit erlebe ich hier immer noch neue Dinge und entwickle mich weiter. Die wohl wertvollste Erfahrung, zumindest in Hinblick auf meinen späteren Beruf der Gymnasiallehrerin, ist der Englischkurs, der mich viel lehrt. Für all diese Möglichkeiten und Erfahrungen bin ich enorm dankbar! Dieser Dank richtet sich speziell an Sie, die mir mit der finanziellen Unterstützung das Jahr ermöglicht haben.
Ein herzliches Dankeschön auch an meine Entsendeorganisation in Deutschland, an die IERP in Buenos Aires und an alle, die mich in diesem Jahr begleiten!
Julia Weber
Nuestro Salvador IELU
Av. 8 de Octubre 3324
11.600 Montevideo
URUGUAY

Wie schon im letzten Bericht möchte ich auch hier auf meinen Blog verweisen, der immer mal wieder neue Geschichten für Sie bereit hält: http://juliainuruguay.blogspot.de/. Über einen Besuch auf der Seite oder über Kontaktaufnahme via Email (juli.weber5@web.de) würde ich mich sehr freuen!
In diesem Sinne: Herzliche Grüße an alle und bis bald!


Mittwoch, 12. März 2014

21. Campamento

Im letzten Beitrag verwies ich bereits auf den Beitrag, den ihr jetzt gerade im Begriff seid, zu lesen. Wisst ihr noch warum? Ganz genau, weil wir mit den Kindern des Club de Niños im Zeltlager waren. Es ist schon einige Zeit her, genauer gesagt fand das Ereignis zwischen dem 21. und dem 23. Februar statt, was bedeutet, das ganze drei Wochen seither vergangen sind, aber (und an dieser Stelle bemerke ich, dass die Reihe meiner Erklärungen, weshalb die Blogeinträge immer erst so spät erfolgen, wohl nie enden wird) meine vergangenen Wochen waren gefüllt wie ein Bizcocho mit Dulce de Leche und ließen daher nicht zu, dass ich mich in Ruhe einem Eintrag widmen konnte.

Nun gut, genug der langen, komplizierten Sätze, ich widme mich der Darstellung des besagten Wochenendes. Am Freitagmittag sind wir eben in den Bus gestiegen und haben die dreistündige Fahrt angetreten. Mein Pech war leider, dass ich direkt in der Reihe vor den drei kleinsten Mädchen saß, was bedeutete, dass schon nach fünf Minuten die hoch-quietschende Stimme einer kleinen compañera die Frage an mich richtete, ob wir denn nicht schon bald da seien. Nein meinte ich, versuchte ihr zu erklären, dass wir gerade erst losgefahren seien und der Weg noch etwas an Zeit in Anspruch nehmen würde und lehnte mich zufrieden mit der Antwort in meinen Sitz. Leider vernahm ich bereits nach kürzester Zeit die bekannte Stimme, die wieder in Erfahrung bringen wollte, ob es denn immer noch weit sei bis zum Ziel. Diesmal verwies ich darauf, dass drei Stunden in ungefähr der Länge von drei Filmen entspräche, was aber bedauerlicherweise nicht zum gewünschten Ergebnis führte. Woran ich das merkte? Nun ja, ich merkte es daran, dass mich diese Frage im Fünf-Minuten-Takt die gesamte Fahrt über begleitete…





Mit leicht gereizten Nerven kamen wir schlussendlich nach drei langen Filmen in Conchillas im departamento von Colonia an und bezogen Zimmer. Zwei große Schlafstätten mit Betten; die Gemeinschaftsbäder im Extraraum. Küche und Aufenthaltsraum befanden sich in einem angrenzenden Haus.











Direkt im Anschluss wurde das erste Mal der Strand eingeweiht, was den Kindern natürlich enorm gut gefallen hat. Den Abend ließen wir mit einem großen Gruppenspiel und Lagerfeuer ausklingen. Der nächste Tag sah ebenfalls Strand vor, wobei die Kinder auch angeln konnten. Und siehe da, selbst die wildesten Kinder fanden in dieser Beschäftigung ihre Ruhe, was vor allem uns Betreuern sehr zu Gute kam, da die Nacht aufgrund von aufs Klo gehender, nicht-schlafen-wollender und weinender Kinder recht dürftig ausgefallen ist. Nach einem deliziösen Mittagsmal besuchten wir einen weiteren Strand, etwas außerhalb. Die Idee entpuppte sich als fatal:

Zur gleichen Zeit befand sich nämlich ein Schwarm uns nicht freundlich gesinnter Hornissen am Strand. Natürlich nahmen wir die kleinen Bestien nicht wahr, schließlich versteckten sie sich, böswillig und grausam wie sie waren, am Rande des Strandes im Gebüsch, wo unsere friedlichen und lieben Kinder sie nicht sehen konnten. Auf einmal ging es ganz schnell: Das erste laute Schreien ertönte, dem ich allerdings wenig Bedeutung beimaß, da es von einem ohnehin schon hysterischen Mädchen kam. Als sich diesem Schrei dann jedoch noch ein zweiter und dritter und viele weitere laute Schreie anschlossen war es vorbei mit dem ruhigen Strandausflug. Fluchtartig ergriffen wir alle den Rückzug; die mitgebrachten Angeln als auch Handtücher wurden als Waffen verwendet, um sich gegen die Barbaren zu wehren, die sich in großer Zahl auf uns stürzten. Der Verstand eines Kindes war leider auch nicht ausgereift genug, weshalb selbst die nackte Hand als Waffe benutzt wurde – ein Fehler, da die Hand im nächsten Moment von einem wunderschönen Stich geziert wurde. Die Kinder am Schreien, die Erwachsenen völlig überfordert, weil wir gar nicht wussten, wie uns geschah und wo wir anfangen sollten – es war eine Szene wie im Hollywoodfilm. Glücklicherweise scheinen die Kampfschreie unserer Kinder Wirkung gezeigt zu haben, da der Schreck nach kurzer Zeit sein Ende fand. Übrig blieben einige zerstochene Kinder, die wir erst einmal zu beruhigen hatten. Gar nicht mal so einfach, schließlich litt ich selbst noch an den Folgen einer brutalen Konfrontation mit dem kleinen Weggefährten. Es mag jetzt wohl sehr dramatisch klingen (ich muss gestehen, ich hatte gerade eben auch enorm Spaß, meiner Hysterie freien Lauf zu lassen und das Ereignis so zu schildern) aber es ist alles gut weiterverlaufen. Die zerstochenen Kinder haben wir eingesammelt und zum Krankenhaus gebracht, wo letzte Stacheln gezogen wurden und schon ging es zurück zum Zeltlager. Zum Glück schmerzten die Stiche nur im Moment des Stiches und nicht auch noch im Nachhinein. So hatten wir die nächsten Tage absolut keine Probleme mehr. Nur eines stand fest: Der kleine Strand wurde komplett von der Tagesliste gestrichen – für immer und ewig!










Die restliche Zeit verbrachten wir eben mit weiteren, lustigen Spielen, einem Discoabend, an dem sich die Kinder auch verkleiden konnten, Strand, Angeln, Essen – alles in Allem war es ein großer Erfolg! Die Kinder waren glücklich, es gab keine weiteren Zwischenfälle und so konnten wir uns zufrieden und erschöpft in den Bus setzen, um die Rückfahrt anzutreten, die noch eine Kugel Eis im Nachbardorf bereithielt.