Freitag, 1. August 2014

31. Damit ihr nicht denkt, ich sei völlig bescheuert

Wie gesagt, damit ihr nach dem letzten Eintrag nicht denkt, ich sei mittlerweile komplett durch den Wind, schicke ich einen Erguss an wortgewandter Ausdruckskraft hinterher. Nun gut, es ist im Grunde genommen nur der dritte Bericht, aber lest einfach:

Mir gefiel schon immer die Metapher des weißen, unbeschriebenen Blattes, als welches wir vor gut einem Jahr bezüglich der kommenden Erfahrungen in das ferne Lateinamerika aufbrachen. Voller Ungewissheit, Neugier, Freude und Abenteuerlust bestiegen wir damals das Flugzeug, hatten also kaum eine Vorstellung dessen, was uns bevorstünde und ließen uns damit auf ein Abenteuer ein, das ein Jahr später deutliche Spuren an uns hinterlassen würde: Das Blatt, das hinsichtlich des Jahres noch unbeschrieben war, ist nun nicht mehr weiß, es ist beschrieben mit ganz persönlichen Geschichten, es ist bemalt mit einer Vielzahl an verschiedensten Eindrücken, es ist bezeichnet mit Erkenntnissen über das Leben hier, über uns selbst, über das Leben in Deutschland, definitiv ist es aber nicht mehr leer. Es ist voll von einem Jahr Leben in Lateinamerika, voll von Gefühlen, Bildern, Momenten, Einsichten. Kurz vor dem Rückflug heißt es nun also, Worte für alle diese Veränderungen zu finden und sie mit Ihnen, lieber Unterstützerkreis, zu teilen.

PERSÖNLICHE ENTWICKLUNG
Mir fällt es ehrlich gesagt etwas schwer, meine persönlichen Veränderungen aufzufinden. Mir fehlt dazu ganz einfach die Außensicht, die am besten mit einem gewissen zeitlichen Abstand die Julia vom Anfang des Jahres mit derjenigen vergleichen kann, die ich heute bin. Ich bin mir sicher, dass ich gewachsen bin an dem Jahr und an seinen Aufgaben, dass ich reifer und offener geworden bin, doch kann ich diese Veränderungen nur schwer identifizieren, da dies einem kontinuierlichen Prozess unterlag. Im Gegensatz dazu konnte ich aber beispielsweise eindeutige Veränderungen an Mitfreiwilligen erkennen, da genau bei ihnen der zeitliche Abstand gegeben war. Was ich beobachten konnte ist, dass die Umgebung einen unglaublichen Einfluss auf die Entwicklung des Freiwilligen ausmacht. So sind Freiwillige aus dem Innenland, stupide gesagt, zu ruhigen Ökos geworden, die sich perfekt an ihre Situation im Campo angepasst haben. Freiwillige aus der Megametropole Buenos Aires hingegen genießen die Freiheiten und Möglichkeiten, die eine Großstadt bietet und sind zu lebenshungrigen, jungen Menschen herangereift. Wie sich Montevideo, als gemütliche Großstadt, auf mich ausgewirkt hat, muss wohl bei meiner Rückkehr beurteilt werden. Was ich jedoch mit ziemlicher Gewissheit sagen kann ist, dass ich viele Sichtweisen und Gewohnheiten verändert habe. So kommen mir beispielsweise viele Dinge, über die ich mich in Deutschland vielleicht noch beschwert habe, mittlerweile als absolute Nichtigkeiten und Luxusprobleme vor, räumliche Distanzen habe ich für mich komplett neu definiert, da nun eine Wegstrecke von einer Stunde Busfahrt als normal und nicht zu lange angesehen wird, Zeit spielt hier für mich nun eine ganz andere Rolle, die Prioritätenverteilung bezüglich Arbeit und Leben hat sich umgelagert, das Verständnis von Offenheit und Gastfreundschaft ist dank des Hier-erlebten ein neues geworden, es sind also solche Dinge, an denen ich merke, dass ich mich verändert habe.

VERÄNDERUNGEN IM PROJEKT
Wenn ich nun auf Veränderungen Bezug nehmen möchte, die durch meinen Dienst im Projekt stattfanden, habe ich nun eine recht klare Meinung: Ich habe weder einen riesen Beitrag geleistet, der die Arbeit im Projekt auf eine neue Ebene gehoben hätte, noch habe ich die „Welt verbessert und Armut bekämpft“, was sich ja viele Freiwillige leider anmaßen zu behaupten. In meinen Augen ist es aber auch völlig unnötig, zu erwarten, man würde so wahnsinnig viel verändern in seinem Projekt. Es ist doch viel wichtiger, sich einzugliedern in das Getriebe, das bereits läuft und das im Falle meines Projektes noch dazu sehr gut und reibungslos läuft. Womöglich ist es auch speziell in meinem Projekt so, dass ich in der Rolle als deutsche Freiwillige nicht die weitreichenden Veränderungen bringen konnte, schließlich schaut die Obra Ecuménica bereits auf Generationen von Freiwilligen zurück und hat mehrfach erlebt, was Deutsche zu gewissen Arbeitsmethoden oder Gewohnheiten sagen. Ich konnte in diesem Bereich also nur wenig „Neues“ bringen. Worin ich mir aber sicher bin, sind die kleinen, privaten Veränderungen, die ich nicht in der Rolle der deutschen Freiwilligen brachte, sondern in der Rolle der Privatperson Julia. Jeder in der Obra trägt durch seinen persönlichen Charakter auf seine spezielle Art und Weise bei, gibt den Gesprächen, dem Team, der Arbeit seine persönliche Note. So konnte ich sicherlich dem ein oder anderen Kind ganz einfach nur durch einen schönen Moment, ein nettes Gespräch, ein offenes Ohr, ein neues Spiel, das Mitteilen meines Wissens, sei es schulischer, privater, tänzerischer oder sonst noch welcher Art für einen Augenblick seinen Alltag verändern. Vielleicht sogar die Probleme vergessen machen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Ich glaube auch, dass ich mehr Gewinn aus dem Jahr ziehen konnte, als das Projekt aus mir, das ist in gewisser Hinsicht aber auch verständlich: Für mich war das Jahr eine komplett neue Situation, in der nichts das Gleiche war, wie es in Deutschland ist. Für das Projekt war ich ein Baustein, der in einem sonst altbewährten Gerüst neu war. Ich hoffe sehr, dass ich mich klar ausdrücken konnte und dass nichts falsch aufgefasst wird, aber ich sehe die durch mich bewirkten Veränderungen nicht auf großer, institutioneller Ebene, vielmehr sehe ich sie im Kleinen, Privaten, womit ich aber auch zufrieden bin, da man sich als Freiwilliger meiner Meinung nach davon verabschieden sollte, einem utopischen Bild des Weltverbesserers nachzueifern.

RÜCKKEHRGEDANKEN
Nach elf Monaten kann ich sagen, dass ich enorm Glück hatte mit allem, was mir widerfahren ist. Ich hatte ein Riesenglück mit meinem Projekt, mit den Menschen, die ich kennenlernen durfte, mit meiner Wohngemeinschaft, mit meiner Stadt, mit allem. Womöglich liegt es auch daran, dass mich während des gesamten Jahres eigentlich auch nie eine wirkliche Krise heimgesucht hatte. Klar hätte ich mir in einigen Momenten meine Familie und Freunde oder auch einfach nur das Deutsche herbeigesehnt, es nahm aber nie die Ausmaße eines großen persönlichen Tiefs an. Auch nun, im letzten Monat meines Aufenthaltes kann ich von Glück sprechen, da mir der Gedanke an die Rückkehr ehrlich gesagt nicht besonders schwer fällt. Natürlich werde ich Montevideo und die Menschen vermissen und in einigen Momenten mit einer großen Sehnsucht auf das Erlebte zurückblicken, im Augenblick bin ich der Rückkehr aber sehr positiv eingestimmt. Einerseits, da ich mich schon sehr auf Freunde und Familie freue und mir sehr wünsche, meine ganzen Erfahrungen endlich teilen zu können, andererseits aber auch, da es nun an der Zeit ist, zurückzukehren. Es ist für mich ok, dass das Jahr zu Ende geht und ich kann mit einem guten Gefühl auf das Erlebte und Erreichte zurückschauen: Ich habe alles das, was mir zu Beginn des Jahres wichtig war, erreicht, weshalb ich jetzt nicht das Gefühl habe, als hätte ich etwas verpasst: Ich habe eigene Ideen in der Arbeit umgesetzt, habe meinen Platz in der Arbeit gefunden, habe mir die spanische Sprache weitestgehend zu Eigen gemacht, habe viele Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen, habe alles Mögliche an Tanz ausprobiert, über Candombe bis hin zu Tango, habe Dinge ausprobiert, die ich in Deutschland wahrscheinlich nicht ausprobiert hätte, bin gereist, einmal zusammen mit Uruguayern, einmal nur mit dem Rucksack auf gut Glück und habe viele persönliche Prozesse durchgemacht. Ich bin also zufrieden mit dem gesamten Jahr und mit mir und kann mich daher mit Ruhe auf meine Rückkehr einstellen.

Am Schluss angelangt bleibt mir nur noch eines: Ein herzliches Dankeschön auszudrücken! Für all‘ die Unterstützung, egal welcher Form sie auch war! DANKE!


 

1 Kommentar:

  1. Liebe Julia,
    könntest Du eine Telefonnummer, unter der wir Dich erreichen können, an redaktion.buehl@bnn.de schicken, damit wir Dich einmal anrufen können? Vielen Dank!
    Acher- und Bühler Bote/Stefanie Prinz

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