Wie gesagt, damit ihr nach dem letzten Eintrag nicht denkt, ich sei mittlerweile komplett durch den Wind, schicke ich einen Erguss an wortgewandter Ausdruckskraft hinterher. Nun gut, es ist im Grunde genommen nur der dritte Bericht, aber lest einfach:
Mir gefiel schon immer die
Metapher des weißen, unbeschriebenen Blattes, als welches wir vor gut einem
Jahr bezüglich der kommenden Erfahrungen in das ferne Lateinamerika aufbrachen.
Voller Ungewissheit, Neugier, Freude und Abenteuerlust bestiegen wir damals das
Flugzeug, hatten also kaum eine Vorstellung dessen, was uns bevorstünde und
ließen uns damit auf ein Abenteuer ein, das ein Jahr später deutliche Spuren an
uns hinterlassen würde: Das Blatt, das hinsichtlich des Jahres noch
unbeschrieben war, ist nun nicht mehr weiß, es ist beschrieben mit ganz
persönlichen Geschichten, es ist bemalt mit einer Vielzahl an verschiedensten
Eindrücken, es ist bezeichnet mit Erkenntnissen über das Leben hier, über uns
selbst, über das Leben in Deutschland, definitiv ist es aber nicht mehr leer.
Es ist voll von einem Jahr Leben in Lateinamerika, voll von Gefühlen, Bildern,
Momenten, Einsichten. Kurz vor dem Rückflug heißt es nun also, Worte für alle
diese Veränderungen zu finden und sie mit Ihnen, lieber Unterstützerkreis, zu
teilen.
PERSÖNLICHE
ENTWICKLUNG
Mir fällt
es ehrlich gesagt etwas schwer, meine persönlichen Veränderungen aufzufinden.
Mir fehlt dazu ganz einfach die Außensicht, die am besten mit einem gewissen
zeitlichen Abstand die Julia vom Anfang des Jahres mit derjenigen vergleichen
kann, die ich heute bin. Ich bin mir sicher, dass ich gewachsen bin an dem Jahr
und an seinen Aufgaben, dass ich reifer und offener geworden bin, doch kann ich
diese Veränderungen nur schwer identifizieren, da dies einem kontinuierlichen
Prozess unterlag. Im Gegensatz dazu konnte ich aber beispielsweise eindeutige
Veränderungen an Mitfreiwilligen erkennen, da genau bei ihnen der zeitliche
Abstand gegeben war. Was ich beobachten konnte ist, dass die Umgebung einen
unglaublichen Einfluss auf die Entwicklung des Freiwilligen ausmacht. So sind
Freiwillige aus dem Innenland, stupide gesagt, zu ruhigen Ökos geworden, die
sich perfekt an ihre Situation im Campo angepasst haben. Freiwillige aus der
Megametropole Buenos Aires hingegen genießen die Freiheiten und Möglichkeiten,
die eine Großstadt bietet und sind zu lebenshungrigen, jungen Menschen
herangereift. Wie sich Montevideo, als gemütliche Großstadt, auf mich
ausgewirkt hat, muss wohl bei meiner Rückkehr beurteilt werden. Was ich jedoch
mit ziemlicher Gewissheit sagen kann ist, dass ich viele Sichtweisen und
Gewohnheiten verändert habe. So kommen mir beispielsweise viele Dinge, über die
ich mich in Deutschland vielleicht noch beschwert habe, mittlerweile als
absolute Nichtigkeiten und Luxusprobleme vor, räumliche Distanzen habe ich für
mich komplett neu definiert, da nun eine Wegstrecke von einer Stunde Busfahrt
als normal und nicht zu lange angesehen wird, Zeit spielt hier für mich nun
eine ganz andere Rolle, die Prioritätenverteilung bezüglich Arbeit und Leben
hat sich umgelagert, das Verständnis von Offenheit und Gastfreundschaft ist
dank des Hier-erlebten ein neues geworden, es sind also solche Dinge, an denen
ich
merke, dass ich mich verändert habe.
VERÄNDERUNGEN
IM PROJEKT
Wenn ich
nun auf Veränderungen Bezug nehmen möchte, die durch meinen Dienst im Projekt
stattfanden, habe ich nun eine recht klare Meinung: Ich habe weder einen riesen
Beitrag geleistet, der die Arbeit im Projekt auf eine neue Ebene gehoben hätte,
noch habe ich die „Welt verbessert und Armut bekämpft“, was sich ja viele
Freiwillige leider anmaßen zu behaupten. In meinen Augen ist es aber auch
völlig unnötig, zu erwarten, man würde so wahnsinnig viel verändern in seinem
Projekt. Es ist doch viel wichtiger, sich einzugliedern in das Getriebe, das
bereits läuft und das im Falle meines Projektes noch dazu sehr gut und
reibungslos läuft. Womöglich ist es auch speziell in meinem Projekt so, dass
ich in der Rolle als deutsche Freiwillige nicht die weitreichenden
Veränderungen bringen konnte, schließlich schaut die Obra Ecuménica bereits auf
Generationen von Freiwilligen zurück und hat mehrfach erlebt, was Deutsche zu
gewissen Arbeitsmethoden oder Gewohnheiten sagen. Ich konnte in diesem Bereich
also nur wenig „Neues“ bringen. Worin ich mir aber sicher bin, sind die
kleinen, privaten Veränderungen, die ich nicht in der Rolle der deutschen Freiwilligen
brachte, sondern in der Rolle der Privatperson Julia. Jeder in der Obra trägt
durch seinen persönlichen Charakter auf seine spezielle Art und Weise bei, gibt
den Gesprächen, dem Team, der Arbeit seine persönliche Note. So konnte ich
sicherlich dem ein oder anderen Kind ganz einfach nur durch einen schönen
Moment, ein nettes Gespräch, ein offenes Ohr, ein neues Spiel, das Mitteilen
meines Wissens, sei es schulischer, privater, tänzerischer oder sonst noch
welcher Art für einen Augenblick seinen Alltag verändern. Vielleicht sogar die
Probleme vergessen machen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Ich glaube
auch, dass ich mehr Gewinn aus dem Jahr ziehen konnte, als das Projekt aus mir,
das ist in gewisser Hinsicht aber auch verständlich: Für mich war das Jahr eine
komplett neue Situation, in der nichts das Gleiche war, wie es in Deutschland
ist. Für das Projekt war ich ein Baustein, der in einem sonst altbewährten
Gerüst neu war. Ich hoffe sehr, dass ich mich klar ausdrücken konnte und dass
nichts falsch aufgefasst wird, aber ich sehe die durch mich bewirkten
Veränderungen nicht auf großer, institutioneller Ebene, vielmehr sehe ich sie
im Kleinen, Privaten, womit ich aber auch zufrieden bin, da man sich als
Freiwilliger meiner Meinung nach davon verabschieden sollte, einem utopischen
Bild des Weltverbesserers nachzueifern.
RÜCKKEHRGEDANKEN
Nach elf Monaten kann ich sagen, dass ich enorm Glück hatte mit allem,
was mir widerfahren ist. Ich hatte ein Riesenglück mit meinem Projekt, mit den
Menschen, die ich kennenlernen durfte, mit meiner Wohngemeinschaft, mit meiner
Stadt, mit allem. Womöglich liegt es auch daran, dass mich während des gesamten
Jahres eigentlich auch nie eine wirkliche Krise heimgesucht hatte. Klar hätte
ich mir in einigen Momenten meine Familie und Freunde oder auch einfach nur das
Deutsche herbeigesehnt, es nahm aber nie die Ausmaße eines großen persönlichen
Tiefs an. Auch nun, im letzten Monat meines Aufenthaltes kann ich von Glück
sprechen, da mir der Gedanke an die Rückkehr ehrlich gesagt nicht besonders
schwer fällt. Natürlich werde ich Montevideo und die Menschen vermissen und in
einigen Momenten mit einer großen Sehnsucht auf das Erlebte zurückblicken, im
Augenblick bin ich der Rückkehr aber sehr positiv eingestimmt. Einerseits, da
ich mich schon sehr auf Freunde und Familie freue und mir sehr wünsche, meine
ganzen Erfahrungen endlich teilen zu können, andererseits aber auch, da es nun
an der Zeit ist, zurückzukehren. Es ist für mich ok, dass das Jahr zu Ende geht
und ich kann mit einem guten Gefühl auf das Erlebte und Erreichte
zurückschauen: Ich habe alles das, was mir zu Beginn des Jahres wichtig war,
erreicht, weshalb ich jetzt nicht das Gefühl habe, als hätte ich etwas
verpasst: Ich habe eigene Ideen in der Arbeit umgesetzt, habe meinen Platz in
der Arbeit gefunden, habe mir die spanische Sprache weitestgehend zu Eigen
gemacht, habe viele Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen, habe alles
Mögliche an Tanz ausprobiert, über Candombe bis hin zu Tango, habe Dinge
ausprobiert, die ich in Deutschland wahrscheinlich nicht ausprobiert hätte, bin
gereist, einmal zusammen mit Uruguayern, einmal nur mit dem Rucksack auf gut
Glück und habe viele persönliche Prozesse durchgemacht. Ich bin also zufrieden mit
dem gesamten Jahr und mit mir und kann mich daher mit Ruhe auf meine Rückkehr
einstellen.
Am Schluss
angelangt bleibt mir nur noch eines: Ein herzliches Dankeschön auszudrücken!
Für all‘ die Unterstützung, egal welcher Form sie auch war! DANKE!